Zwölf Studierende der Hochschule Coburg haben im Sommersemester 2021 das Wahlfach „The Second Life“ belegt und gemeinsam mit dem Bauunternehmen Raab eine regionale Baustoffbörse organisiert und erfolgreich durchgeführt. Eine was? Richtig gehört: Eine Baustoffbörse. Anstelle von Kleidung werden hier eben Baustoffe und -materialien angeboten. Und das im Second-Hand-Stil. Re-Use statt Abbruch.
Verena, unsere Netzwerk-Managerin bei CREAPOLIS, stand tatkräftig zur Seite und gibt Einblicke in das Pionier-Projekt:
Es ist Januar 2021. Wir befinden uns mitten im Corona Lockdown und ich in einer virtuellen Netzwerkrunde mit Gisela Raab, Geschäftsführerin des hiesigen Bauunternehmens Raab. Kurz bevor die Gesprächsrunde in unserem virtuellen Netzwerkraum endet, erwähnt Frau Raab die Idee einer Baustoffbörse. „Vielleicht hätte die Hochschule Interesse an diesem Experiment?“ stellt Frau Raab in den Raum. Bei mir hört es nicht mehr auf zu rattern. Die Idee einer Baustoffbörse, um den entstehenden Bauschutt bei einem Abriss eines Getränke- und Supermarktes zu minimieren, finde ich klasse. Das klingt spannend, innovativ und riecht nach einer Kooperation mit der Hochschule Coburg und natürlich CREAPOLIS.
Die Idee wächst und gedeiht
Ich rufe Frau Raab an und frage, ob sie sich vorstellen könnte das Experiment mit der Hochschule Coburg zu wagen. Natürlich ist Frau Raab sofort dabei und freut sich über die potentielle Unterstützung. Also an die Arbeit, denn viel Zeit bleibt uns nicht, bevor im Juni das Abrisskommando auf dem Areal in Mönchröden anrollt. Das Format ist anfangs noch völlig unklar: Wie sollen wir das Projekt angehen: ein interdisziplinärer Workshop? Eine Abschlussarbeit? Ein gemeinsames Forschungsprojekt? Vielleicht sogar über eine Förderung durch das neue Europäische Bauhaus? Ideen gibt es viele. Interessierte ProfessorInnen der Fakultät Design, Frau Raab, Kollege Matthias (wissenschaftlicher Projekt Manager der Fakultät Design) und ich diskutieren in virtueller Runde, wie wir das Projekt in der Praxis aufziehen können.
Dann geht alles ganz schnell: Professor Rainer Hirth entscheidet sich ein Wahlfach anzubieten – mit der Unterstützung von Frau Raab als Experiment-Geberin und CREAPOLIS in meiner Person als Unterstützerin und Beraterin. Das Konzept wird in einer Nacht-und-Nebel-Aktion geschrieben und ist gerade mal zarte 48 Stunden alt, als es den Studierenden vorgestellt wird. Die Resonanz ist groß, das Wahlfach mit 12 Studierenden ausgebucht.
Der Pionier-Zug kommt ins Rollen
Und so starten wir gemeinsam ein Experiment, für das wir nur gut drei Monate Zeit haben und uns dafür gerade einmal 1,5 Stunden in der Woche virtuell treffen können. Es wird keine leichte Aufgabe, aber eine lohnende.
Stück für Stück hangeln wir uns durch die großen Fragen, die dieses Praxisprojekt mit sich bringt: Wie präsentieren wir das Experiment der Öffentlichkeit? Wie können wir die Baustoffe vermarkten? Wird es überhaupt Interessenten und Abnehmer geben? Unsere Kollegin Jana, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei CREAPOLIS und Architektin, hat einen Tipp: Sie stellt den Kontakt zu Concular her – ein Start Up aus dem Stuttgarter Raum, das sich bereits mit ähnlichen Projekten beschäftigt und sicherlich Erfahrungen weiter geben kann … So macht Netzwerk-Arbeit Spaß.
Es kann also klappen. Dafür müssen wir aber unbedingt die Interessenten erreichen. Wir versuchen alle Kanäle zu bespielen: Wir laden Journalisten ein, die auf die Baustoffbörse aufmerksam machen und O-Töne für Tageszeitung und Radio einsammeln. Ein Projektteam entwirft Grafiken für die sozialen Medien und auf unserer CREAPOLIS-Website erstellen wir eine Seite mit allen Infos zum Ablauf und Reservierung der Bauteile. Wir versuchen so viel Aufsehen wie möglich zu erregen in dieser kurzen Zeit.
Parallel zum Marketing hat das Projektteam vor allem mit organisatorischen Fragen alle Hände voll zu tun. Studierende und Angehörige der Firma Raab erfassen fotografisch jeden einzelnen Baustoff. Die Liste ist lang. Sie umfasst knapp 100 Positionen, 17 Seiten bestehend aus 1.600 qm Betonsteinpflaster, über ein Duzend Plattenheizkörper, mehrere Handwaschbecken, fast 2.000qm abgehängte Decken-Bauteile – um nur ein paar Positionen zu nennen. Die Liste kommt auf die CREAPOLIS-Website, wo Interessierte sie reservieren und von 26. bis 29. Mai abbauen können. Die Corona-Hygieneregeln und der Online-Charakter machen die Vorbereitung und Durchführung keineswegs leichter, aber das Projekt kommt ins Rollen: Reservierungen werden entgegengenommen, Termine vergeben, Haftungsausschüsse unterschrieben.
Experiment geglückt
70% der Baustoffe finden in kürzester Zeit Abnehmer und ein zweites Leben – ihr „Second Life“. Immer dabei: die Doku-Gruppe des Projektteams, die das Experiment filmt und dokumentiert. Immerhin wollen wir davon lernen, unsere Erkenntnisse teilen und ein Zeichen setzen, neue Wege nicht nur zu denken sondern vor allem auch zu gehen. Für Nachhaltigkeit und Ressourceneinsparung.
Und was passiert mit den restlichen Baustoffen? Die werden von einem Abbruchunternehmen weitgehend recycelt und als Unterbau für die neuen Gebäude und Straßenflächen am Grundstück verwendet. Sie erfahren also auch ein „Second Life“.
"Zusammen wollen wir zeigen, was möglich ist und vielleicht sogar einen Stein ins Rollen bringen, um in Zukunft noch mehr Projekte dieser Art zu ermöglichen. Die Wiederverwendung von Bauteilen leistet einen wichtigen Beitrag, umweltfreundlicher und CO2-einsparend zu bauen", erklären Gisela Raab und Professor Rainer Hirth. Beide sind sich einig: Das Experiment ist gelungen!
Mein Fazit
Und was ist mein Resümee aus dieser Kooperation? Aus Sicht der Netzwerk Managerin? Für gewöhnlich endet meine Beteiligung, wenn ich die potentiellen Kooperationspartner in der Hochschule und der Wirtschaft zusammengebracht habe. Dieses Mal konnte ich tiefer einsteigen, mein Wissen aus der Netzwerkarbeit einbringen und war Bestandteil eines engagierten, interdisziplinären Projektteams. Ich konnte selbst erfahren, wie fruchtbar eine derartige Zusammenarbeit sein kann. Ich war Bestandteil von dem, was wir im Hochschul-Kontext Transfer nennen – der gegenseitige Austausch von Wissen. Umso mehr freut es mich, wenn Frau Raab rückblickend sagt: „Die Reaktionsgeschwindigkeit von Verena Blume und Rainer Hirth hat mich positiv überrascht und spricht für die Praxisnähe der Hochschule Coburg.“ Und genau das ist unser Ziel: gemeinsam mit unseren Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft neue, praxisrelevante Kompetenzen auf- und ausbauen. Wenn es sein muss, auch schon mal über Nacht.
Du möchtest mehr über die Kooperationsmöglichkeiten mit der Hochschule Coburg erfahren? Dann kontaktiere mich gerne unter verena.blume@hs-coburg.de
Stand: 14. Juni 2021
Beim Stichwort „virtuelles Netzwerken“ neugierig geworden? Wir organisieren regelmäßig die Veranstaltungsreihe „Innovation durch Dialog“ für UnternehmerInnen, die ihr Netzwerk ausbauen wollen und für innovative Konzepte offen sind. Das Event ist eine Kooperation von der Hochschule Coburg (durch CREAPOLIS) mit dem Innovations-Zentrum Region Kronach und dem Coburger Designforum Oberfranken. Aktuelle Termin gibt’s bei unseren Events.