Der alte Coburger Schlachthof verändert sich. Jana Melber zieht Parallelen zu Städten wie Karlsruhe, Kopenhagen und New York und spricht im Interview über Vergangenheit und Zukunft des Areals. Das ist Thema ihrer Doktorarbeit an der Hochschule Coburg.
Als die Fleischindustrie aus der Innenstadt verschwand, machte sie in den historischen Gebäuden des Schlachthofs Platz für einen Ort des Wissens, der Kreativität und der fachlichen Begegnung verschiedener Disziplinen. CREAPOLIS, die Innovations- und Vernetzungsplattform der Hochschule Coburg, und der zweite Mieter, das digitale Gründerzentrum Zukunft.Coburg.Digital, werden Mitte 2022 aus der Schlachthofvilla in die ehemalige Kühlhalle umziehen. Jana Melber beschäftigt sich mit der Transformation des Geländes. Betreut wird ihre Doktorarbeit von Architekturprofessor Mario Tvrtkovic, zu dessen Schwerpunkten an der Hochschule Coburg Stadtmorphologie und Transformative Forschung zählen, und von Prof. Dr. Agnes Förster von der RWTH Aachen, die auf Planungstheorie und Stadtentwicklung spezialisiert ist.
Wie hängen Schlachthof und Stadtentwicklung zusammen?
Jana Melber: Im 19. Jahrhundert wurde entdeckt, dass mangelnde Hygiene Ursache vieler Krankheiten ist. Das beeinflusste kommunale Einrichtungen wie Friedhöfe und Wasserversorgung und führte auch dazu, dass etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in vielen Städten zentrale Areale zur Schlachtung errichtet wurden. Um Geräusch- und Geruchsbelästigung zu vermeiden, wurden die Schlachthöfe vor den Toren der Stadt gebaut. Das kann man in Coburg gut sehen. Am Ausbau des Schlachthofes wird deutlich, wie der Wohlstand im Anschluss zunahm. Seit seiner Entstehung 1880 bis in die 1970er Jahre wurde der Schlachthof ständig umgebaut – immer mit der Intention, zu vergrößern, zu erweitern, neueste Technik einzubauen, um den immer stärker wachsenden Bedarf an Fleisch in Coburg und der Region decken zu können.
Welche bedeutenden Ausbaumaßnahmen gab es?
Anfangs war es nur eine lineare Anlage entlang der Bahngleise. Sie stammt von Julius Martinet, dem Stadtbaumeister, der auch so prägende Gebäude wie die Alte Angerturnhalle und die Lutherschule am Albertsplatz entworfen hat. 1928 wurde die Kühlhalle gebaut. Darauf folgten Erweiterungen wie ein Anlieferungshof, das große Portal und die Gebäudekomplexe im Süden. Zu dieser Zeit gab es in der Ketschenvorstadt noch Viehmärkte. Die meist jüdischen Betriebe der Viehhändler wurden in den 1930er Jahren unter dem NS-Regime geschlossen. Darauf folgten wieder Umbauten und Erweiterungen, um den Viehhandel am Schlachthof zu zentrieren. Der Schlachthof wurde nach und nach zu einem eigenständigen Areal - und die Stadt wuchs immer mehr an das Gebiet heran.
Da haben viele Städte ein ähnliches Erbe wie Coburg?
Ja, viele historische Schlachthöfe wurden geschlossen. Moderne Schlachthöfe sind noch größer, noch konzentrierter. Sie sind hochtechnologisiert. Und sie wurden meist in Gewerbegebieten außerhalb gebaut. Nicht wie die Areale aus dem 19. Jahrhundert, die heute in den Zentren der Städte liegen. Die Geruchsbelästigung und die Geräusche wollte man da nicht haben. Außerdem sind auch die Hygienestandards weitergewachsen. Der daraus folgende Modernisierungszwang ist in historischer Bausubstanz nicht einfach umzusetzen. Aber die Areale haben eine eigene, spannende Qualität. Wo eine Umnutzung gelungen ist, kann man einen großen städtebaulichen Wert sehen.
Wo zum Beispiel?
Es gibt viele gute Beispiele für eine gelungene Transformation: In Karlsruhe ist der Schlachthof aus einer ähnlichen Zeit wie in Coburg. Auch die Baustruktur ist ähnlich, alles nur eine Nummer größer. Die Stadt machte aus dem Gelände einen Kreativpark, ein Zentrum für Künstler, kulturelle Einrichtungen und kreatives Gewerbe. So etwas gibt es nicht nur in Deutschland: In Kopenhagen zum Beispiel ist das „Fleisch-Viertel“ mit Kunstgalerien und angesagten Restaurants eine Attraktion. Auch in New York ist der „Meatpacking-District“ ein Trendbezirk.
Und wie kommt Leben ins Coburger Schlachthofareal?
Die Innovations- und Vernetzungsplattform CREAPOLIS mit ihren Werkstätten für Bürgerinnen und Bürger ist ein wichtiges Projekt der Hochschule – und ein Impulsgeber für die Stadt. Das belebt das Areal. Es ist derzeit der belebteste Teil zwischen Frankenbrücke und altem Güterbahnhof. Durch CREAPOLIS und den Verein Zukunft.Coburg.Digital hat das Gelände eine höhere Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit und ein Gefühl von Zugehörigkeit bei weiten Teilen der Bevölkerung erreicht. Auch die Studierenden waren sehr aktiv, mit Ideen und mit Muskelkraft wurden spannende Installationen im Außenbereich geschaffen. Hochschule und Stadt, Gesellschaft und Unternehmen sind gemeinsam stark am Transformationsprozess beteiligt. Der Wandel des Areals ist Gegenstand meiner wissenschaftlichen Untersuchungen. Auf jeden Fall ist es ein Ort, an dem viel passiert.
Das Gespräch führte Natalie Schalk. (Hochschule Coburg)